ANLIEGEN, LEITSTERN, WARUM, GEMEINSCHAFT
11. August 2022
Michel Gyurech, interviewt von Esther Schwann
Michel: Im Frühjahr kam mir die Idee, nachdem ich mich mit den Werken von Simon Sinek beschäftigt hatte, seine Methode auch für unsere regionale Gemeinschaft anzuwenden. Er ist quasi der Urheber dieser grundlegenden Frage nach dem Warum. Simon Sinek beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, weshalb Firmen, Gemeinschaften und Individuen erfolgreich sind und andere nicht. Und unser Anliegen ist es doch, dauerhaft erfolgreich zu sein.
Was ist Erfolg im Sinne seiner Methode? Erfolg wird nicht in Geld und Umsatz gemessen, sondern ob wir das, was uns wirklich wichtig ist, realisieren können. Wenn wir Erfolg haben, heisst das nicht, dass wir etwas in zeitlicher Nähe erreichen wollen, sondern dass wir auf lange Sicht dahinter stehen können. Es soll vor allem den nachfolgenden Generationen zugute kommen, unseren Kindern und den Kindeskindern.
Esther: Wer war in diesen Prozess, das gemeinsame Anliegen zu definieren, involviert?
Michel: Ende April stellte ich auf unserem letzten Grosstreffen die Idee des Warum vor. Damit sollte die Gemeinschaft das für sie passende stabile Fundament finden. Es wurde ein Aufruf an alle Interessierten gestartet, an diesem Prozess mitzuwirken. Ziemlich spontan meldeten sich etwa 25 Teilnehmer für den Workshop an. Es war eine breit gefächerte Gruppe von Menschen aus der Region, überraschend heterogen, aus verschiedenen Berufen, jung und alt, Männer wie Frauen.
Esther: Wie viel Zeit muss eingerechnet werden, bis das gemeinsame Anliegen gefunden ist? Und was passiert während dieses Workshops?
Michel: Der Prozess dauerte etwa 5 Stunden. Danach hatten wir unser Anliegen gefunden. Das Geheimnis dieser Methodik ist es, sich komplett zu öffnen. Wichtig war, dass jeder die Offenheit mitbrachte, sich verletzbar zu machen. Wir haben Zweier- oder Dreiergruppen gebildet und haben uns mit verschiedenen Fragestellungen beschäftigt. Das Abtauchen auf die Gefühlsebene brachte die Teilnehmer dazu, sich zu offenbaren. Sie hörten auf, sich auf mentalen Pfaden zu bewegen.
Dafür ist zum Einstieg ein Fragenkomplex wichtig, die sich nicht mit den Tätigkeiten und Aufgaben der Gemeinschaft beschäftigt. Die Fragestellung lautete:
„In welcher Art von Gemeinschaft konntest Du Dich selbst sein? In welcher Art von Gemeinschaft hast Du Dich gut gefühlt? Was war der Auslöser dafür, dass Du Dich in einer Gemeinschaft wohl gefühlt hast? Was brauchst Du von der Gemeinschaft?“
Die Teilnehmer werden damit angeregt, aus ihrer gelebten Erfahrung in der Vergangenheit zu schöpfen. So beginnst Du Muster zu entdecken, wann Du Dich in Gemeinschaft gut fühlst. Die Erinnerung an die Gefühle sind massgeblich.
Esther: Andere Methoden der Leitsternfindung beschäftigen sich mit der Frage danach, was der Mensch der Gemeinschaft und der Welt geben kann, nicht das, was der Einzelne braucht. Wie habt Ihr schliesslich den Umkehrschluss ermittelt, was jeder Einzelne der Welt geben kann?
Michel: Nun, ist es nicht so, dass der Mensch dort am besten wirken kann, wo er sich wohl fühlt? In einem solchen Umfeld können wir aus unserem ganzen Potenzial schöpfen, denn alles Beunruhigende und Verunsichernde entfällt. Deshalb ist es so wichtig, sich zuerst darüber im Klaren zu sein, wo ich mich wohl fühle. Das ist tatsächlich das Fundament.
Esther: Ja, eigentlich ist das so einfach. Ich gebe Dir Recht. In einem Rahmen, in dem Angst keinen Boden hat, ist Vertrauen. Und das Vertrauen ist die Grundlage für Mut zur Handlung und tolle Ideen. – Was habt Ihr anschliessend mit den gesammelten Punkten gemacht?
Michel: Wir haben wieder Kleingruppen gebildet und begonnen, das Gesammelte zu gewichten. Dabei kamen zwei Bewertungsmethoden zum Einsatz: eine Gruppe hat die für sie am wenigsten wichtigen Aspekte gestrichen, eine andere Gruppe hat Prioritäten 3-2-1 gesetzt. Es wurden die Anzahl Stimmen pro Aspekt gezählt. Für das Zusammenführen haben wir anderthalb Stunden gebraucht. Da wir drei Gruppen gebildet hatten, mussten am Ende die Ergebnisse von drei Gruppen verdichtet werden. Und das Verblüffende war, dass sich die Ergebnisse der Einzelgruppen unabgesprochen sehr sehr ähnlich waren. Das machte es am Ende relativ einfach und war wie eine Bestätigung der Richtigkeit des Gemeinsamen.
Die von den Teilnehmern zusammengetragenen Punkte liessen sich im Wesentlichen auf zwei Arten einteilen: solche, die eine Aktion beinhalten und solche, die eine Wirkung beschreiben. Wir haben uns beim Prozessschritt der Gewichtung auf die Aktionen konzentriert und heraus gefiltert, welche Aktionen für die Teilnehmer und die Gruppe die geringste Bedeutung haben. Am Ende blieben die Aktionen übrig, bei denen die meisten Teilnehmer positive Erfahrungen gemacht hatten. In einem zweiten Schritt, haben wir die positive Wirkung der oben erwähnten Aktionen miteinbezogen.
Esther: Das ist spannend. Lieber Michel, verrate uns doch jetzt, zu welchem Warum Ihr gekommen seid?
Michel: Unser im Workshop gefundener Leitstern lautet:
WIR BRINGEN UNS MIT OFFENEM HERZEN IN DIE GEMEINSCHAFT EIN, DAMIT SICH DER EINZELNE IM EINKLANG MIT DER WIR-KRAFT FREI ENTFALTEN KANN.
Esther: Das ist ein kraftvolles Warum! Wie soll das Anliegen bekannt gemacht werden?
Michel: Wir wollen zuvorderst nicht missionieren. Unser Ziel ist es, in absehbarer Zeit weiter zu existieren und als Gemeinschaft über längere Zeit glücklich zusammen zu leben. Wenn wir unser Warum beherzigen und durch die Handlungen wirken lassen, werden sich andere Menschen zu fragen beginnen, was wir anders machen. Menschen werden neugierig und können sich freiwillig dem Warum anschliessen, weil sie die positive Wirkung erleben. Das kann auch auf einer unbewussten Ebene zu wirken beginnen.
Es ist die Tat, die mit dem darunter liegenden geistigen Prinzip ausstrahlt. In einer Gruppe von Menschen gibt es immer Pioniere, die anzahlmässig relativ wenige sind, jedoch mit ihren Handlungen ausstrahlen. Und dann gibt es in Gruppen solche, die nachfolgen und das Erfolgreiche adaptieren werden. Wir suchen gar niemandem und wollen lediglich, dass es unseren Kindern gut geht.
Esther: Ihr wollt also absichtslos Vorbild sein?
Michel: Ohne Absicht und niemanden überzeugen wollen ...
Esther: Gibt es noch weitere Workshops, die sich an den ersten anschliessen werden?
Michel: Nach der Klärung des Warum werden die Fragen nach dem Wie und dem Was geklärt: wie wir unsere Handlungen innerhalb der Gemeinschaft strukturieren und was daraus konkret als Aktionen abgeleitet werden kann.
Die vielen wertvollen Punkte, die wir im ersten Workshop gesammelt und danach gefiltert und aussortiert hatten, werden wieder hervor geholt. Aus diesen arbeiten wir das Wie heraus.
Esther: Können sich neue Teilnehmer, die sich mit dem Leitstern identifizieren und am Prozess mitwirken wollen, für den nächsten Workshop anmelden, wenn am Wie gearbeitet wird?
Michel: Es ist sinnvoll, wenn die Teilnehmer des ersten Workshops, von denen ja auch all die schon gesammelten Punkte stammen, auch den zweiten Workshop für das Wie bestreiten. Jeder neue Teilnehmer würde sich verständlicherweise mit seinen Ideen einbringen wollen. Die Gefahr bestünde dann aber, dass der Prozess der vollständigen Öffnung auf der Gefühlsebene fehlt und wieder nur im Mentalen verblieben wird.
Wir wollen eine Struktur aus dem Wie entwickeln, die auf den tief erlebten Erfahrungen basiert, welche wir mit den Fragen hervor geholt haben, in welcher Art von Gemeinschaft wir uns richtig gut gefühlt haben und was der Auslöser dafür, dass wir uns in einer Gemeinschaft so wohl gefühlt haben.
Menschen, die an dem Prozess mitwirken wollen, können sich einbringen, sobald wir uns mit dem Was beschäftigen, also den Massnahmen, der Umsetzung. Hierfür dürfen sich neue Teilnehmer sehr gerne bei mir melden.
Esther: Herzlichen Dank für das Gespräch. Euch allen viel Erfolg und Freude an dem Prozess des Warum, Wie und Was.
Michel Gyurech
Nelkenstrasse 4
4410 Liestal
Telefon: 079 870 49 01 (SMS oder Sprachnachricht)
E-Mail: michel . gyurech @ vtxmail . ch